Liebe Mitglieder und weitere Interessierte
Der Bundesrat hat am 26. Juni 2024, nur zwei Wochen nach der erfolgreichen Volksabstimmung «Sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien», bereits wieder weitreichende Änderungen im Elektrizitätsgesetz (EleG) in die Vernehmlassung geschickt – diesmal mit dem Ziel, den Netzausbau zu beschleunigen.
Nun sind diese Änderungen zur Bearbeitung an das Parlament überwiesen worden.
Doch welche Auswirkungen hätte dieser Gesetzesentwurf?
Auswirkungen
Beim ersten Lesen wirkt der neue Gesetzesentwurf wie eine Zusammenstellung verlorener Gerichts- und Verwaltungsentscheide des Netzbetreibers, der nun künftige Entscheidungen per Gesetz zu seinen Gunsten beeinflussen möchte.
Die zahlreichen Einsprachen während der Vernehmlassungsphase gegen einen «Freileitungsgrundsatz» bewegten den Bundesrat immerhin dazu, diesen Punkt aus den Gesetzesänderungen zu streichen.
Natürlich kann man Verfahren beschleunigen, indem der Gesetzgeber das Recht zugunsten einer Partei verändert. Aber warum hat das bisherige Recht eine solche Einseitigkeit verhindert?
Die Vernehmlassungsversion enthielt die fast feudal anmutende Aussage, dass der Netzbetreiber enteignen und vorzeitig Land in Besitz nehmen dürfe.
Die aktuelle Fassung entschärft dies leicht: Vor dem Besitzergreifen muss nun ein vollstreckbarer Entscheid vorliegen.
Doch sind es wirklich die Einsprachen, die Netzprojekte in die Länge ziehen?
Bevor wir uns dem Gesetzesinhalt widmen, gehen wir dieser Frage nach.
Das Märchen von der Einsprache
Mitte der 1980er-Jahre kündigte die Netzgesellschaft an, die Strecke Beznau–Mettlen von 220 kV auf 380 kV zu erhöhen.
Diese Strecke ist durch Umspannwerke in folgende Segmente unterteilt: Beznau–Birr, Birr–Niederwil, Niederwil–Obfelden und Obfelden–Mettlen.
Gegen das Segment Beznau–Birr wurde gerichtlich vorgegangen, um die Ortschaft Riniken von der Freileitung zu entlasten.
Die Verfahren dauerten von 1996 bis 2011 – ganze 15 Jahre –, in denen viele Grundsatzfragen zu Erdkabeln geklärt wurden.
Seither ist es gesetzlich nicht mehr möglich, das Bundesgericht anzurufen – angeblich, um Verfahren zu beschleunigen.
Erst 2020, neun Jahre nach dem Entscheid, die Leitung um Riniken in den Boden zu verlegen, wurde diese in Betrieb genommen. Planung und Ausführung dauerten also nochmals neun Jahre.
Die Segmente Birr–Niederwil und Obfelden–Mettlen wurden bereits so gebaut, dass die Spannung auf 380 kV erhöht werden könnte.
Das Segment Niederwil–Obfelden hingegen wurde schlicht vergessen.
2013 startete man ein neues Sachplanverfahren, nachdem klar geworden war, dass die alte Planung die NIS-Vorschriften (nichtionisierende Strahlung) nicht einhalten konnte.
Die damals gültige Sachplanverordnung sah eine Dauer von zwei Jahren vor. Nun, im Jahr 2025, wird erst das Plangenehmigungsgesuch erwartet – erst dann können Betroffene Einsprache erheben.
Das Verfahren hat somit zehn Jahre länger gedauert, als vorgesehen.
Wer hat diese Zeit vergeudet?
Man könnte gesetzlich festschreiben, dass Verfahren, die länger als zwei Jahre dauern, automatisch als Erdkabel ausgeführt werden müssen.
Das würde den Netzbetreiber unter Zugzwang setzen.
Die Gesetzesänderungen
Die Raumplanung soll künftig einseitig ausgelegt werden, indem Hochspannungsnetzprojekte Vorrang vor allen anderen nationalen Interessen haben – ausgenommen dem in der Verfassung verankerten Moor-, Landschafts- und Heimatschutz.
Da es sich um nationale Projekte handelt, können die Kantone dazu lediglich Stellung beziehen und bei Differenzen ein Bereinigungsgesuch stellen.
Dies tat der Kanton Aargau beim Projekt Niederwil–Obfelden auf Antrag des Grossen Rates ebenfalls.
Der Kanton hatte einen Erdkabel-Grundsatz festgelegt.
Doch die Bundesverwaltung sah keinen Anlass, dem zu folgen, und berief nicht einmal eine klärende Sitzung ein.
Gedankenspiel
Man stelle sich vor, der CEO der privatrechtlichen Aktiengesellschaft, die den Bundesauftrag als Netzbetreiber erfüllt, fühle sich vom Fluglärm des Regionalflugplatzes in der Nähe seines Wohnortes gestört.
Er nutzt die nächstmögliche Gelegenheit, ein Freileitungsprojekt so zu planen, dass es in der Nähe des Flughafens verläuft und dessen Betrieb einschränkt.
Welche Möglichkeiten blieben dem Flugplatzbetreiber und den Piloten mit den aktuellen Gesetzesänderungen?
Fazit aus diesem Beispiel:
«Raum» ist ein Allgemeingut. Alle Beteiligten müssen die gleichen Mitspracherechte haben.
Die sich abzeichnende Einseitigkeit in der Raumplanung ist demokratiefeindlich.
Zeitliche Einschränkungen für Kantone und Gerichte
Ein weiterer Punkt ist die drastische Verkürzung der Fristen:
Kantonen blieben nur zwei Monate und Gerichten lediglich 180 Tage für die seriöse Abklärung und Abwägung der verschiedenen Ansprüche.
Ohne zusätzliches Personal wird die Qualität der Entscheide unweigerlich leiden.
Enteignung von Dienstbarkeiten
Enteignungen sollten in einer Demokratie äusserst behutsam eingesetzt werden.
Umso erstaunlicher ist es, dass auch hier Zugeständnisse an die Netzgesellschaft gemacht werden.
Früher schloss diese Dienstbarkeiten für 25 bis 30 Jahre ab, neu sollen es 50 Jahre sein.
Das überschreitet bei den meisten Eigentümern eine Generation und schmälert die Planbarkeit.
Beispiel:
Im Aargau wollte sich ein Hausbesitzer 2011 nicht mit der geringen Entschädigung zufriedengeben, die ihm der Netzbetreiber bei der Erneuerung der Dienstbarkeit für eine bestehende 220 kV-Leitung anbot.
Die Leitung verlief über sein Einfamilienhausgrundstück mit Baulandreserven, die wegen der Freileitung nicht genutzt werden konnten.
Nach zwei Bundesgerichtsentscheiden liegt der Fall nun zum dritten Mal beim Bundesverwaltungsgericht.
Es ist zu hoffen, dass das Bundesgericht eine erneute Behandlung ablehnt, damit der Fall endlich abgeschlossen werden kann.
Ein solcher Weg ist für Geschädigte extrem zeit-, nerven- und kostenintensiv – während die Netzbetreiberin mit einem Heer von Anwälten ausgestattet ist.
Es ist normal, dass es Einsprachen gibt. Nicht normal ist es, Streitigkeiten mehrfach bis vor das Bundesgericht zu tragen.
Der Gesetzgeber sollte der Netzgesellschaft hier Grenzen setzen – insbesondere bei der Laufzeit von Dienstbarkeiten.
Positivbeispiel aus dem Gasnetz:
Ein Bauer erhielt einen neuen Dienstbarkeitsvertrag für die Nutzung eines bereits verbauten Leerrohres mit einer Datenleitung – Laufzeit 25 Jahre, mit zugesicherter Entschädigung.
Der Betreiber hätte die Leitung unbemerkt einziehen können, holte sich jedoch aus Anstand die Zustimmung schriftlich ein.
Die Netzbetreiber hingegen möchten mit der Gesetzesänderung Glasfaserkabel in den Erdseilen der Masten beliebig vermieten – ohne Dienstbarkeiten.
Kabelstudie Schweiz der Swissgrid
Am 3. Februar 2025 hat Swissgrid eine Kabelstudie zum schweizerischen Höchstspannungsnetz veröffentlicht.
Diese Studie will glaubhaft machen, dass ein Höchstspannungsnetz mit Erdkabeln sehr instabil werde.
Es wirkt wie der Versuch, den in der Vernehmlassungsphase gestrichenen Freileitungsgrundsatz durch die Hintertür wieder einzuführen.
Jede Stromübertragung im Wechselstromnetz erzeugt Blindleistungen.
Es wird richtig festgehalten, dass diese als Störgrössen zu betrachten und am Ort der Entstehung zu eliminieren sind.
Heute werden diese Blindleistungen meist weit entfernt in den Strom erzeugenden Kraftwerken kompensiert.
Gefahr der zentralen Kompensation
Diese Konstellation hat sich beim grossen Blackout in Spanien als fatal erwiesen:
Nach dem Ausfall einzelner grosser Kraftwerke fehlte nicht nur Energie im Netz, sondern gleichzeitig stieg die Blindleistung und damit die Phasenverschiebung von Strom und Spannung.
Weitere Anlagen schalteten sich aufgrund der zu hohen Phasenverschiebung automatisch ab, was den Dominoeffekt beschleunigte.
Die Kompensation in Kraftwerken hat noch einen weiteren Nachteil:
Jede Blindleistung erzeugt zusätzlichen Stromfluss und damit Übertragungsverluste.
Die Kombination aus fehlender Kompensation vor Ort und den aus Gewichtsgründen zu dünnen Leitern von Freileitungen führt dazu, dass die Verluste im heutigen Übertragungsnetz (6’700 km) mit rund 1 TWh pro Jahr in derselben Grössenordnung liegen wie die Verluste in der Regionalverteilung (214’000 km).
Zum Vergleich: Der gesamte Stromverbrauch der Schweiz lag 2024 bei rund 62 TWh.
Der Gesetzgeber sollte deshalb mit dem Hochspannungsnetzbetreiber, wie mit allen anderen Grossverbrauchern, Effizienzsteigerungen vereinbaren.
Kritik an der Swissgrid-Studie
Die Studie geht vom bestehenden Netz mit über 100 Jahre alter Technologie aus und versucht mit einer «Pflästerli-Politik» nur die Blindleistung von Erdkabeln zu kompensieren.
Der elektrotechnische Grundsatz, dass Störungen erstens zu verhindern, zweitens zu vermindern und drittens mit technischen Massnahmen zu bekämpfen sind, wird ignoriert – stattdessen wird nur der dritte Punkt, die technischen Massnahmen betrachtet, ohne dabei alle möglichen Kompensationstechniken mit einzubeziehen.
Dass die Studie teure und aufwendige Massnahmen vorschlägt, liegt auf der Hand.
Ebenso, dass dadurch zusätzliche Störungen entstehen können.
Beschleunigung von Verfahren
Die grossflächige Anbindung der Länder über Wechselstromleitungen hat sich als suboptimal erwiesen.
So waren die Auswirkungen des spanischen Blackouts in fast ganz Europa spürbar.
Würde die europaweite Länderkopplung als Rückgrat der Stromübertragung mit HGÜ-Technik (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) ausgeführt, könnten Störungen – wie in Spanien – auf das Ursprungsland begrenzt werden.
Erste Ansätze dafür sind die deutsche Südlink-Leitung, die bis in den Raum Mettlen LU verlängert werden soll.
Beim Übertragungsnetz der Schweiz könnten mit diesem Rückgrat vermutlich mehrere 380 kV-Leitungen wegfallen.
Statt Geld und Energie in bunte Prospekte zu stecken, die nur beschreiben, wie das Netz mit «Pflästerli-Politik» erweitert werden kann, müsste man die Vision verfolgen, Energie möglichst verlustfrei und unsichtbar zu übertragen.
Eine solche Vision würde breite Unterstützung finden und könnte – trotz grösserem Umfang – schneller und konsequenter umgesetzt werden.
Ein weiteres Zeitproblem
Zusätzlich verzögert sich der Prozess, weil der Netzbetreiber alle Arbeiten rund um Planung und Bau neuer Leitungen extern vergibt.
Diese Firmen freuen sich zwar über die Aufträge, bauen aber keine ausreichenden Kapazitäten auf, sondern nutzen die Projekte als Lückenfüller.
Das erklärt die langen Planungs- und Bauzeiten und zeigt, dass die gewählten Lösungsansätze keine Verbesserung bringen.
Erst wenn die Netzgesellschaft zumindest die Planung mit eigenen Angestellten durchführt, können Projekte mit der nötigen Priorität und Effizienz umgesetzt werden.
Fazit
Die geplanten Gesetzesänderungen sind demokratiefeindlich, weil sie der Netzgesellschaft unnötigerweise einseitige Rechte einräumen.
Freileitungen sind sehr gut sichtbare Industriebauten, die oft ausserhalb von Bauzonen und in Erholungsgebieten errichtet werden sollen.
Dass das Parlament hier Einhalt gebietet, ist fraglich – zu viele Parlamentarier hängen am Tropf der Elektrizitätsindustrie.
Gemäss der schweizerischen Elektrizitätsstatistik 2024 erzielte diese Branche 11,8 Milliarden Franken Gewinn und nach Boni, Spenden und Rückstellungen immer noch 6,5 Milliarden Franken Reingewinn.
Mit der Umwandlung von kantonalen Eigenwirtschaftsbetrieben in Aktiengesellschaften hat man mächtige «Goldesel» geschaffen, die über Lobbyisten die Bundespolitik zu ihren Gunsten beeinflussen.
Der eigentliche Esel ist der Strombezüger – also der Stimmbürger –, der nicht nur gemolken, sondern nun auch noch mundtot gemacht werden soll.
Der HSUB ist jedenfalls bereit, das Referendum gegen diese «Lex Swissgrid» zu ergreifen.
Wir hoffen, dann auf Ihre Unterstützung zählen zu können.
Weiterführende Links:
- 300’000 anstatt 500 Franken für Starkstromleitung vor dem Haus
https://www.srf.ch/news/swissgrid-soll-bezahlen-300-000-anstatt-500-franken-fuer-starkstromleitung-vor-dem-haus - Strategisches Netz 2040 von Swissgrid. Anbindung an europäische Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsprojekte?
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20244225 - Supergrid
Flyer für welche der nationale Netzbetreiber ein Jahr gebraucht hat.
https://www.swissgrid.ch/de/home/projects/future-grid/supergrid.html
Für Fragen und Anliegen melden Sie sich unter info@hsub.ch.
