Swissgrid plant Freileitungen
Zu komplex, zu teuer und überhaupt nicht zwingend – an der ersten Jurakette kommt fur die nationale Netzgesellschaft ein Erdkabel nicht infrage. Anders als am Alpenkamm.
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Stromversorgung: Herbetswil gegen Swissgrid am Rüttelhorn
AboSwissgrid plant FreileitungenWarum die erste Jurakette keinen Grimseltunnel bekommen soll
Zu komplex, zu teuer und überhaupt nicht zwingend – an der ersten Jurakette kommt für die nationale Netzgesellschaft ein Erdkabel nicht infrage. Anders als am Alpenkamm.

In Kürze:
- Swissgrid will die beiden Hochspannungsleitungen auf dem Rüttelhorn ersetzen.
- Heute führt das Trassee direkt über eine der höchsten Erhebungen im Oberaargauer Jura.
- Der Herbetswiler Gemeindepräsident fordert anstelle der heutigen Freileitungen einen Tunnel.
- Die nationale Netzgesellschaft lehnt die Verkabelung wegen technischer Probleme sowie hoher Kosten ab.
Wie die Skulptur mit den drei Eidgenossen im Bundeshaus stehen sie da, die drei Masten auf dem Gipfel des Rüttelhorns ob Farnern. Sie tragen die Seile zweier Hochspannungsleitungen, die von der Unterstation Wangen in die Region Basel führen – und gleich zu Beginn die erste Jurakette an einer ihrer höchsten Stellen im Oberaargau überwinden.
An dieser Freiluftinstallation soll sich auch auf lange Sicht hin wenig bis gar nichts ändern. Das schlägt eine vom Bund eingesetzte Expertengruppe zuhanden von Swissgrid so vor. Weil die heutigen Masten und Leitungen bald hundert Jahre auf dem Buckel haben und baulich wie technisch völlig veraltet sind, plant die nationale Netzgesellschaft einen Abbruch mit anschliessendem Neubau. Gleichzeitig rechnet sie weiterhin fest mit einem oberirdischen Verlauf.
Dazu hat sich nun im Rahmen der öffentlichen Mitwirkung erstmals auch die Bevölkerung äussern können. Noch steht das Resultat der Befragung aus. Doch der eine oder die andere mag mit einem Blick über das Mittelland hinweg an die Grimsel schon gedacht haben: Wieso verschwinden die Leitungen nicht auch an der ersten Jurakette im Berg?
Widerstand aus Herbetswil
Explizit gestellt hat diese Frage Stefan Müller-Altermatt, der Gemeindepräsident von Herbetswil auf der solothurnischen Rückseite des Rüttelhorns. Ihm ist nicht entgangen, was Swissgrid am anderen Ende des Kantons Bern plant: Im Oberland sollen die Leitungen, die durch den Alpenkamm ins Wallis führen, künftig im Stollen verschwinden. Gemeinsam mit einer neuen Grimselbahn.
Das hat den Mitte-Politiker, der auch im Nationalrat sitzt, auf eine Idee gebracht: Wieso für die Swissgrid-Leitungen nicht auch durch den Jura einen Tunnel schlagen? Und dessen Profil gleichzeitig so erweitern, dass auch Velos oder gar Züge einer Zweiglinie der Aare Seeland mobil Platz hätten? Das Thal, wie die recht abgeschiedene Landschaft um Herbetswil heisst, wäre mit einem Schlag viel besser ans Mittelland angebunden.
Umso tiefer sitzt nun bei Müller-Altermatt die Enttäuschung über das Beharren auf den Freileitungen. «Dass an der Grimsel ein 22 Kilometer langer Tunnel gebaut werden soll, bei uns jedoch der 5-Kilometer-Tunnel nicht möglich sein soll, ist sehr stossend», hält er in einem Statement fest.
Swissgrid hält dagegen
Für ihre Haltung führt die Netzgesellschaft vielfältige Gründe ins Feld. In einem Infoblatt schreibt sie, dass eine unterirdische Linienführung massive Eingriffe in den Boden zur Folge hätte. Diese wären «insbesondere hinsichtlich des Grundwasserschutzes äusserst problematisch».

Dazu kommen die physikalischen Eigenschaften von Erdkabeln, die, wie Sprecherin Sandra Bläuer auf Nachfrage ergänzt, «den stabilen Netzbetrieb und das Beheben von Störungen deutlich erschweren». Eine Verkabelung im grossen Stil würde daher die Versorgungssicherheit in der ganzen Schweiz gefährden.
Ins Gewicht fallen nicht zuletzt auch die Kosten. Eine Verkabelung durch den Berg käme «deutlich teurer» zu stehen als die Freileitungen, heisst es wieder im Infoblatt.
Das Rüttelhorn ist nicht die Grimsel
Ganz anders argumentiert Swissgrid an der Grimsel. Dort überwinden die heutigen Freileitungen einen 2200 Meter hohen Pass. In dieser Zone ist das Klima rau und der Betrieb damit viel anspruchsvoller als 1000 Meter tiefer auf dem Rüttelhorn. Am Weg liegen auch Schutzgebiete von nationaler oder gar internationaler Bedeutung. Die Moorlandschaft am Grimselsee etwa oder das Unesco-Weltkulturerbe Jungfrau-Aletsch.

Und: Unterwegs stehen die Masten teils mitten in den Siedlungsgebieten. Mit einem unterirdischen Kabel, so die Netzgesellschaft, könne man all diese Probleme elegant aus der Welt schaffen.
Wobei zu diesen Themen auch das Freiluftprojekt über den Jura Besserung bringen soll, wie Swissgrid versichert. Das neue Trassee werde heikle Gebiete umgehen und zu den Dörfern mehr Abstand halten. Aus Sicht von Natur-, Landschafts- und Heimatschutz sei ein unterirdisches Kabel schlicht «nicht zwingend».
Für und Wider an der Jurakette
Obs genau daran liegt, dass sich der Widerstand rund ums Rüttelhorn in Grenzen hält? In der Mitwirkung hat sich Herbetswil zwar, wie zu erwarten, negativ geäussert. Weit zurückhaltender tönt es dagegen aus Farnern und vor allem aus dem benachbarten Attiswil. Dort hätten die Behörden zwar nichts gegen eine zumindest teilweise Verkabelung. Gegen die offiziellen Pläne opponieren sie aber nicht.

Selbst die Stiftung für Landschaftsschutz stellt die Ampel auf Grün. Auch wenn sie eigentlich auf die Fahne geschrieben hat, neue Freileitungen zu vermeiden und bestehende in die Erde zu bringen: Beim vorliegenden Projekt sei dieser Grundsatz rechtlich nicht durchsetzbar, hält Co-Geschäftsleiterin Rahel Marti fest. Die neue Linienführung werde sich aber generell besser in die Landschaft einfügen als die heutige.
Marti schreibt noch, dass die Stiftung vor allem dort mit aller Kraft für Verkabelungen kämpfe, wo «hohe nationale Schutzwerte» auf dem Spiel stünden. An der Grimsel sei dies erfolgreich gelungen.
Für die Stromversorgung in Basel
Noch liegt für die Linienführung über die Jurahöhen erst ein Vorschlag vor. Den genaueren Korridor will der Bundesrat bis Ende Jahr festlegen. Mit eine Rolle spielte dabei eine weitere Swissgrid-Leitung, die nur einige Hundert Meter weiter östlich über den Jura führt. Sie stammt aus den 1960er-Jahren, muss über kurz oder lang ebenfalls ersetzt werden – und könnte dann mit den Leitungen aus dem aktuellen Projekt gebündelt werden.

Die detaillierten Projektierungsarbeiten folgen erst nach dem Entscheid des Bundesrats, und so lassen sich im Moment zum Aussehen der Masten keine Aussagen machen. Klar ist nur, dass sie weiterhin zwei Leitungen tragen. Auf einer wird die Spannung von aktuell 145 auf neu 220 Kilovolt erhöht. So wird sie Teil des übergeordneten Höchstspannungsnetzes und kann die Versorgung im Ballungsraum Basel zusätzlich absichern.
Was all das für das Rüttelhorn bedeutet? Nun, vielleicht verschwinden «die drei Eidgenossen» plötzlich doch noch vom Gipfel. Weil die drei Seile, die zusammen eine Leitung ausmachen, heute in der Regel übereinander an ein und demselben Mast befestigt sind. Und weil das Trassee ja noch immer etwas verschoben werden kann – der Baubeginn ist im besten Fall 2030, die Inbetriebnahme 2032.
Wie das Grimselprojekt viele elektrisiert
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Stephan Künzi ist Journalist und Redaktor und als solcher seit über dreissig Jahren im Kanton Bern unterwegs. Er schreibt über alles, was die Leserinnen und Leser im Alltag bewegt. Sein besonderes Interesse gilt dem öffentlichen Verkehr.Mehr Infos